Leseprobe Franz Bartelt
Ich kann nicht sprechen
Da die Leute mich lesen, glauben sie, ich spräche.
Doch das Schreiben ist eine Kunst des Schweigens
und der Sammlung. Nur die Verkaufsförderung
der Bücher gibt Anlass zu bestimmten Formen von
Reklame und Rummel. Ich sage nichts gegen diese
Praktiken. Ich bekenne lediglich, dass ich, von ganz
seltenen Ausnahmen abgesehen, nie Romane von
Autoren lese, die sich allzu hartnäckig im Fernsehen
oder Radio produzieren. Das ist kein Prinzip von mir,
weder Vorurteil noch Voreingenommenheit. Aber
ich habe nicht die geringste Lust, einen Romancier
zu entdecken, den ich schon zur Genüge aus den
Medien kenne und von dem ich den Eindruck habe,
er schreibe sein Buch mit dem Hintergedanken, sein
Gesicht auf der Mattscheibe zeigen zu können. Und
sich zu Wort melden zu dürfen.
Ich habe nichts dagegen.
Das ist vermutlich eine Frage des Naturells. Es gibt
Schwätzer und Schweiger. Zur zweiten Kategorie zu
gehören, ist nicht unbedingt ein Vorzug. Ich wäre
sogar versucht, das Gegenteil zu glauben, wäre ich
noch so unvorsichtig, irgendetwas zu glauben.
Mir hat mal jemand auseinandergesetzt, dass sich
der Wert eines Buchs nicht nach der Zahl seiner
Leser bemisst, oder der seiner Käufer, sondern nach
der Zahl der Fernsehauftritte, die sich sein Verfasser
zu verschaffen weiß.
Damals hat mich dieser Gedanke erbost. Ich war
fünfzehn Jahre jünger, und meine Wertvorstellungen
hatten sich noch nicht an so vielen Enttäuschungen
verschlissen. Inzwischen bin ich langsam zu meinen
Ausgangspositionen zurückgekehrt und wieder zu
der Einsicht gelangt, dass in der Welt der Literatur
nichts geht ohne die Mitwirkung des Fernsehens
und Radios. Vor allem des Fernsehens. Ich könnte
eine lange Liste von Autoren aufstellen, über die
ich mühelos eine Doktorarbeit schreiben könnte,
ohne jemals eine Zeile von ihnen gelesen zu haben,
so sehr habe ich das Gefühl, schon lange mit ihnen
vertraut zu sein und alle ihre Absichten und Vorstellungen
zu kennen. Noch nie waren die literarischen
Landstriche so genau erkundet und vermessen.